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VHW fordert Begrenzung von Frist- und Zeitverträgen

Ausgangssituation in Deutschland

Im Auftrage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hat die HIS das WissZeitVG WissZeiVG evaluiert. In der BMBF-Pressemitteilung Nr. 031/2011 heißt es zum Bericht der HIS: "Zeitvertragsgesetz hat sich bewährt".

Unter anderem können dem Bericht Zahlen über den Umfang der Beschäftigung von Wissenschaftlern in Hochschulen und Forschungseinrichtungen entnommen werden: "Das WissZeitVG ist die rechtliche Grundlage für die Beschäftigung der meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Dazu zählen 146.000 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Hochschulen gemäß amtlicher Statistik im Jahr 2009. Davon arbeiten 83 Prozent befristet. Die Diskussion über die Befristungsregeln muss der besonderen Situation des Wissenschaftsbetriebes Rechnung tragen. Die wissenschaftliche Tätigkeit ist für einen großen Teil der jungen Forscherinnen und Forscher nicht die Vorbereitung auf eine Wissenschaftskarriere an Universitäten, sondern auf eine Tätigkeit in der Wirtschaft, im öffentlichen Dienst oder anderen Berufsbereichen." Ferner heißt es im Bericht: "Auffällig ist, dass die betroffenen Mitarbeiter/innen (über 50% an Forschungseinrichtungen und mehr als 75% an Hochschulen) mehrheitlich noch nicht promoviert sind."

Der Historiker Caspar Hirschi vom Institut für Wissenschaftsgeschichte der ETH Zürich hat die Behauptung des BMBF in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen sehr kritisch hinterfragt. Schon in den Überschriften zu seiner Betrachtung wird er deutlich:

"Exportweltmeister beim akademischen Überschuss
Exzellenzcluster als Arbeitsmarktdesaster: Für die DFG, den Wissenschaftsrat und die Universitäten kann es gar nicht genug Nachwuchskräfte geben. Aber diese verschwinden zuerst in wolkigen Großprojekten und dann in der Arbeitslosigkeit."

Die angeblich aus dem WissZeitVG resultierende Spitzenstellung der deutschen Forschungslandschaft lässt er nicht gelten. Unter Verweis auf vergleichende Forschungsarbeiten zum Forschungserfolg mehrer Länder stellt er fest: "Deutschland rangiert deutlich hinter den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Kanada und hinter den Kleinstaaten Schweiz, Schweden und Israel. Seine wissenschaftliche Effizienz wird etwa gleich hoch eingestuft wie jene Österreichs und Frankreichs. Nur in Physik und den Ingenieurwissenschaften erreicht Deutschland noch Spitzenwerte."

Aufschlussreich sind die im Artikel genannten Zahlen: "Allein zwischen 2003 und 2009 sind die Mitarbeiterstellen an deutschen Universitäten um 33 Prozent auf 139 407 angestiegen, während die Professuren - inklusive Juniorprofessuren - um bloß zwei Prozent auf 22 109 zugelegt haben. Bei den Geisteswissenschaften hat sich die Schere noch weiter geöffnet: Hier sind die Professuren um 0,5 Prozent auf 5 228, die Mitarbeiterstellen jedoch um 43 Prozent, von 9 884 auf 14 114, gewachsen. Im gleichen Zeitraum stieg auch die geisteswissenschaftliche Reservearmee der Privatdozenten und Lehrbeauftragten um 17 Prozent auf 11 004." Die Zahlen der HIS aus dem Jahr 2009 übersteigen mit 146.000 wissenschaftlichen Mitarbeitern noch diese Angaben.

Zur Auswahl der Befähigsten muss man nicht derartig viele "Qualifikationsstellen" besetzen

Man kann relativ gut mit Simulationen abschätzen, wie viele befristete Positionen benötigt werden, wenn man für die Wiederbesetzung der Dauerstellen (dabei darf man nicht nur die Professuren berücksichtigen, sondern muss auch jene der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen) nur die Befähigsten auswählen möchte. Die Ergebnisse einer Simulation sind über folgenden Link einsehbar:

Danach ist bei einer Einstellung von 60 Promovierenden damit zu rechnen, dass 10 oder 11 nach der zweiten Qualifikation (d.h. nach der Habilitation) für eine mit Lehr- und Forschungsaufgaben verbundene Dauerbeschäftigung hinreichend befähigt sind. Je Professur und anderer Dauerstelle benötigt man beim Eintritt in den Ruhestand eine derartige Person. Wenn die Dauerstellen im Durchschnitt im Alter von 40 Jahren besetzt werden und die Regelaltersgrenze bei 65 Jahren liegt, sind die Dauerstellen mit 25 Personenjahren anzusetzen. In Abhängigkeit von der Genauigkeit der Leistungsbeurteilung benötigt man für jeden geeigneten zukünftigen Dauerbeschäftigten eine höhere Anzahl von Beschäftigten in der zweiten Qualifikationsphase. Dieser Anteil liegt bei sehr unzuverlässigen Leistungsbeurteilungen maximal bei 5/6 und sinkt mit zunehmend besserer Leistungsbeurteilung der Promovierten auf 1 ab. Dauert die zweite Qualifikationsphase 6 Jahre, so sind bei sehr schlechter Genauigkeit der Leistungsbeurteilung maximal 10 Personenjahre für Beschäftigte in der zweiten Qualifikationsphase erforderlich. Für jeden geeigneten Nachfolger einer oder eines Dauerbeschäftigten benötigt man die fünf- bis sechsfache Anzahl Promovierender. Rechnet man für diese Qualifikationsphase 4 Jahre und geht vom Fünffachen aus, sind 20 Personenjahre in Halbtagsstellungen erforderlich. Somit ergibt sich ein Bedarf im Verhältnis von 25 : (maximal) 10 : 10 für Landesstellen für Dauerbeschäftigte : Habilitierende (inklusive Juniorprofessorinnen und Juniorprofessuren) : Promovierende.

Die Anzahl der dauerbeschäftigten Professorinnen und Professoren ohne die auf Zeit beschäftigten Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren dürfte bei rund 20.000 liegen. Da von den 146.000 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern 83 % befristet oder auf Zeit beschäftigt sein sollen, müssten 24.820 unbefristet oder auf Lebenszeit tätig sein. Somit müsste die Zahl der dauerbeschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hochschulen und Forschungseinrichtungen bei rund 45.000 liegen. Man benötigte also maximal rund 12.000 Habilitierende (inklusive der Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren) und 24.000 Promovierende. Bei mindestens 85.000 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird die Beschäftigung über den Bedarf hinaus befristet. Ginge es tatsächlich um Qualifikationsstellen, müssten rund 47.000 dieser Beschäftigungen schrittweise in Dauerbeschäftigungen umgewandelt werden.

Zu lange Qualifikationsphasen sind teuer!

Das deutsche Wissenschaftssystem zeichnet sich durch viel zu lange Qualifikationsphasen und zu lange Ketten aus Fristverträgen und Zeitbeamtenverhältnissen aus. Theoretisch kann die Promotionsphase 6 Jahre dauern, danach eine Habilitationsphase von 6 Jahren folgen, eine Weiterbeschäftigung auf einer akademischen Ratsstelle auf Zeit ist für 6 Jahre statthaft, eine Juniorprofessur von abermals 6 Jahren soll zwar nicht anschließen, ist aber nicht ausgeschlossen, danach kann bis zu 10 Jahren eine Professur auf Zeit folgen. Theoretisch könnte 34 Jahre lang befristet oder in Beamtenverhältnissen auf Zeit beschäftigt werden. Allerdings darf eine Professur auf Zeit nicht das 45. Lebensjahr überschreiten. Bei Drittmittelstellen und ununterbrochenem Drittmittelfluss darf unbegrenzt immer von Neuem befristet werden.

Angeblich soll das der Bestenauslese dienen, so dass man nach jeder befristeten Beschäftigung erneut eine Bestenauswahl durchführt. Tatsächlich besteht nach jeder befristeten Tätigkeit eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass keine Weiterbeschäftigung erfolgt. Da man aber jedes befristete Beschäftigungsverhältnis ja irgendwann beenden kann, gibt man sich wenig Mühe mit der Leistungsbeurteilung.

Je später man diejenigen auf Dauer beschäftigt, die sich aufgrund einer ordentlichen Leistungsbeurteilung als die Besten erwiesen haben, umso häufiger muss man neue Personen (als Promovierende) einstellen, die sich höchstens durch einen guten Studienabschluss auszeichnen, sonst aber noch nicht bewährt haben. Deren Leistungen werden naturgemäß im Durchschnitt geringer sein. Bei diesen muss man die Lehrverpflichtung absenken, damit sie ihre Promotions- und später Habilitationsschriften oder Publikationen anfertigen können. Bei Dauerbeschäftigten, die im Schnitt 20 Jahre beschäftigt werden, fallen alle 20 Jahre eine Pensionierung und damit Pensionszahlungen an. Bei Dauerbeschäftigten, die im Schnitt 40 Jahre beschäftigt werden, ist das erst nach 40 Jahren der Fall, so dass die Anzahl der Pensionszahlungen auf die Hälfte gesenkt werden kann. Auch wenn man im Hochschulbereich im günstigsten Fall das Alter für die erstmalige Dauerbeschäftigung nur auf etwa 33 Jahre hinab drücken kann und dann bei einer zukünftigen Regelaltersgrenze von 67 Jahren eine Dauerbeschäftigung für 34 Jahre erreicht, lassen sich damit drastische Einsparungen realisieren.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass in Großbritannien, Kanada und den USA der Anteil der befristeten wissenschaftlichen Beschäftigten viel geringer als in Deutschland ist, die Dauerbeschäftigung in jüngeren Jahren beginnt und die Leistungen einen höheren Rang erreichen.

Es mag sein, dass im deutschen Wissenschaftssystem ungeschriebene Gesetze von der Politik auch dort toleriert werden, wo sie fehl am Platz sind. Bei ungeschriebenen Gesetzen entwickeln sich archaische Strukturen wie in Stammesgesellschaften ("Yamomami"-Syndrom). Bei der Stammesgesellschaft der Yamomami haben Männer, die die meisten Männer anderer Dorfgemeinschaften töteten, den höchsten Rang. Infolgedessen haben sie auch die meisten Frauen und mit diesen die meisten Kinder. In den Universitäten erlangen Professoren, die die meisten Doktoranden und Habilitierenden von Kolleginnen und Kollegen scheitern lassen oder Anträge anderer Kolleginnen und Kollegen auf Drittmittelprojekte in den meisten Fällen ablehnen, besonderes Ansehen und einen hohen Einfluss. Das wird durch viele Stellen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anerkannt. Diese produzieren viele Publikationen und sorgen so im übertragenen Sinne für eine Vermehrung des Gedankenguts des Professors. Scheidet der Professor aus, soll er seinen Bereich wie im Falle der "Witwenverbrennung" mitarbeiterfrei hinterlassen, wobei die Leistungen der Beschäftigten nicht zählen. Große Zahlen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steigern darüber hinaus ähnlich wie die großen Anzahlen von Rindern bei den Tussi und Massai das Ansehen von Wissenschaftlern. Viele Entscheidungen überlassen die Politiker im Rahmen der Autonomie besser den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern; sie müssen aber durch klare Hochschulgesetze dafür sorgen, dass sich dadurch keine archaischen Strukturen herausbilden oder erhalten.